Manager in Toga
Wenn wir über Resilienz sprechen, lohnt es sich, auf ein 2300 Jahre altes Remedium aus der philosophischen Hausapotheke zurückzugreifen: den Stoizismus.
Ein mächtiger Leader notiert in seinem Lager in der Nähe von Wien seine Gedanken, während die Welt in Pandemien, Kriegen und Naturkatastrophen versinkt. Ein bisschen wie bei uns. Nur dass es sich bei unserer Führungskraft weder um den CEO eines gehypten IT-Konzerns noch um einen Politiker oder einen Schauspieler handelt: Wir sprechen vom Philosophenkaiser Marc Aurel (nicht zu verwechseln mit der gleichnamigen Modemarke), der im Jahr 170 nach Christus seine berühmten „Selbstbetrachtungen“ niederschreibt, die heute zur Weltliteratur zählen und überraschend gut gealtert sind – vor allem, was ihre Alltagstauglichkeit betrifft. Ein Charakteristikum, das dazu beiträgt, dass Silicon Valley und seine Proponenten den Stoizismus für sich entdeckt haben. Allerdings sind die meisten Bücher, die den Manager-Ratgebermarkt überschwemmen, nicht mehr als Sprüchesammlungen für die Instant-Selbstoptimierung. „Fast Stoa“ als geistiger Imbiss für Zwischendurch.
Die Fähigkeit zur Unterscheidung
Was Nietzsche als „Stärkungsmittel“ empfahl, ist in Wahrheit ein komplexes Gedankengebäude, das viel mehr ist als eine Philosophie: der Stoizismus – oder die Stoa (leitet sich von griech. Stoa: Säulenhalle ab, in der der erste Stoiker, Zenon von Kition, lehrte) – ist zugleich Kosmologie, Logik und Ethik. Verkürzt: Der Stoiker erkennt seinen Platz in der kosmischen Ordnung, lernt sein Los durch emotionale Selbstbeherrschung zu akzeptieren und strebt gelassen nach Weisheit.
Was dich unglücklich macht, sagt Marc Aurel, sind nicht die Ereignisse selbst, die dir zustoßen – diese sind neutral (indifferent): Was dich unglücklich macht, ist dein Urteil über diese Ereignisse. Der Wahrnehmungsfehler besteht darin, die Dinge selbst mit der Interpretation der Dinge zu verwechseln. Dies gilt es, tunlichst zu vermeiden. Denn die Dinge selbst haben wir nicht unter Kontrolle – unsere Interpretationen hingegen schon. Unsere Gedanken, so die stoische Lehre, können und sollen wir kontrollieren.
Tatsächlich ist eine der wichtigsten Fähigkeiten eines Stoikers, zwischen jenen Dingen zu unterscheiden, auf die wir Einfluss haben und jene, die außerhalb unseres Einflussbereichs liegen. Es mache keinen Sinn, so Epiktet, an zweiteres überhaupt einen Gedanken zu verschwenden.
Andererseits geht es auch nicht darum, das Schicksal passiv zu erdulden: Der Stoizismus ist eine Philosophie der Tat, die Beharrlichkeit dort verlangt, wo sie auf Beeinflussbares trifft. So betont Seneca auch die Bedeutung von Willenskraft: „Wer auf die eigene Kraft vertraut, ist mächtiger als das Schicksal.“
Jeden Morgen Selbstbefragung
Was bedeutet das nun konkret – etwa für Führungskräfte? Nun, Epiktet empfiehlt eine tägliche Übung, die wir später in den Reflexionen der Jesuiten wiederfinden werden: Jeden Morgen sollen wir uns befragen: Was brauche ich noch, damit ich frei werde von negativen Emotionen? Was brauche ich, um Seelenruhe zu erlangen? Was bin ich? (Antwort: ein rationales Wesen). Abends ein weiteres Mal über seine Fortschritte zu reflektieren ist sinnvoll, um sich dem stoischen Ideal zu nähern: der Unerschütterlichkeit (Ataraxie) durch Selbstkontrolle. Der Stoiker möchte die beste Version seiner selbst sein, vor allem auf moralisch-ethischer Ebene.
Diese Übung erinnert an Peter Druckers Selbstreflexion, die er im Artikel „Managing oneself“ beschrieben hat. Wo liegen meine Stärken? Wie und wo kann ich einen sinnvollen Beitrag leisten? Wohin gehöre ich? Welchen Werten folge ich? Drucker empfiehlt den Spiegel-Test: Welcher Person möchte ich in der Früh im Spiegel begegnen?
Strategie gegen den Frust
Ein weiterer Ratschlag stammt von einem Stoiker, dessen Namen wir alle kennen: Seneca. Er empfahl die „premeditatio malorum“ – die Vorwegnahme schlechter Ereignisse als Schutz vor negativen Gefühlen, Wut und Enttäuschung. Es sei unklug, so Seneca, davon auszugehen, dass ein Vorhaben glücken werde. Der Weise, dem bewusst sei, dass Erfolg oder Misserfolg nicht in seinen Händen liegen, bereitet sich gedanklich auf das Scheitern vor. Tritt nun ein schlechter Verlauf ein, so kann ihn dieser emotional nicht völlig aus der Bahn werfen, da er auf einen vorbereiteten Geist trifft. Und geht die Sache gut aus, so empfiehlt es sich auch hier, gleichmütig zu bleiben. Marc Aurel: „Sind Ruhm und Ehre dir zuteilgeworden, achte sie nicht! Sie machen dich eitel und abhängig vom Geist und Wort der anderen.“
Wie aber lassen sich stoische Erkenntnisse nun in den Arbeitsalltag integrieren? Der Betriebsinformatiker Heiner Müller-Merbach, Autor von „Der stoische Manager“ formulierte Leitsätze, die von der Selbstführung zum Führungserfolg führen. Auswahl:
– Erkennen, welche Dinge in unserer Macht stehen.
– Dinge annehmen, die nicht in unserer Macht stehen.
– Die eigenen Kräfte auf gestaltbare Dinge konzentrieren.
– Zwischen Anregungen und Angriffen unterscheiden.
– Für Ideen anderer offen sein.
– Auseinandersetzungen geschickt führen.
– Ein Klima des Vertrauens und der Offenheit schaffen.
– Selbständig im Urteil werden.
– Sich an der Gesamtaufgabe orientieren.
Stoische ManagerInnen empfinden und handeln kontrolliert; so schnell wirft sie nichts aus der Bahn. Mit unerschütterlicher Gelassenheit können sie Dinge akzeptieren, die nicht in ihrer Macht stehen und fokussieren alle Kraft auf Ziele, die sie beeinflussen können. Ihr Arbeitsethos orientiert sich daran, was am besten für die Gemeinschaft ist.
Sie sind handlungsorientierte PragmatikerInnen, die sich selbst Ihre Urteile bildet. Sie übernehmen voll und ganz die Verantwortung für das, was sie kontrollieren können: ihre Seele, ihren Willen, ihre Emotionen, Gedanken und Gewohnheiten, ihr Verhalten. Ein Idealbild? Mag sein. Eine Übung in Gelassenheit scheint in Umbruchszeiten in jedem Fall empfehlenswert.
Marc Aurel hat übrigens die Pandemie – man vermutet, es handelte sich um die Antoninische Pest, nicht überlebt. In den Selbstbetrachtungen schrieb er: Alles vergeht und wird bald zum Märchen und sinkt rasch in völlige Vergessenheit.
Was auf seine Notate definitiv nicht zutrifft.
Marc Aurels „Selbstbetrachtungen“ können kostenfrei im Rahmen des „Projekt Gutenberg“ heruntergeladen werden.
www.projekt-gutenberg.org
Dieser Artikel erschien zuerst im Global Peter Drucker Forum Blog. https://www.druckerforum.org/blog/